Dürfen sich deutsche Ermittler ohne konkreten Anlass massenhaft Daten von befreundeten Ermittlern im Ausland beschaffen, diese auswerten und erst dann Ermittlungsverfahren gegen Beschuldigte in deutschen Strafverfahren einleiten? Das Kammergericht in Berlin sagt ja. Doch damit ist die Frage noch lange nicht endgültig geklärt. Strafverteidiger sehen das völlig anders.
Im Rahmen mehrerer Hacks durch ausländische Behörden haben auch deutsche Ermittler eigenen Angaben zufolge erheblich profitiert. Aus deren Sicht macht sich bereits verdächtig, wer ein #Kryptohandy nutzt.
Seit auch #SkyECC - der Nachfolger von #EncroChat - ebenfalls gehackt worden sein soll, soll deutschen Behörden ein Daten-Tsunami zur Verfügung stehen. Das gleiche gilt für den jüngsten Coup von #EUROPOL, wonach das Zerschlagen einer kanadischen Kommunikationsplattform #PhantomSecure über Kronzeugen zur Entwicklung einer infiltrierten App namens #ANOM geführt haben soll. Laut Presseberichten soll die App #ANOM mehr als 9000 Nutzer weltweit gehabt haben.
Doch dürfen sich deutsche Ermittler ohne konkreten Anlass massenhaft Daten von "befreundeten" Ermittlern im Ausland beschaffen, diese auswerten und erst aufgrund der daraus gewonnenen Erkenntnisse Ermittlungsverfahren gegen Beschuldigte in deutschen Strafverfahren einleiten?
Klar ist: Die illegal gewonnenen Daten führten auch in Deutschland zu zahlreichen #Durchsuchungen und #Festnahmen und werden es auch in 2021 noch führen.
Und: Es gibt bereits #Kronzeugen, die gegen andere Beschuldigte aussagen, um sich selbst eine Strafmilderung zu verschaffen. Diese werden dann als Dauerzeuge bundesweit in Verhandlungen gegen Beschuldigte auftauchen.
Doch sind die #Beweise nach deutschem Strafprozessrecht gegen #Beschuldigte überhaupt strafprozessual überhaupt verwertbar? Aus Sicht versierter #Strafverteidiger: Ein klares Nein!
Beweise müssen auf legale Weise gewonnen werden. Wahrheitsfindung um jeden Preis darf es im Rechtsstaat nicht geben!
Das bedeutet ganz konkret:
Was nach deutschem Recht nicht erlaubt ist, darf sich der deutsche Staat auch nicht über Umwege besorgen, indem er sich Beweismittel gegen seine Bürger aus Staaten besorgt, welche weniger strenge Regelungen zur Beweiserhebung haben.
Hinsichtlich der erlangten Daten wurde also deutsches Verfahrensrecht und sogar Verfassungsrecht umgangen. Denn Online-Durchsuchungen und auch das Abhören von Telefonen wäre mit Blick auf eine unspezifische und pauschale Verdachtslage nicht zulässig gewesen.
Nach richtiger Ansicht dürfen vom Staat gehackte Daten vor Gericht deshalb nicht als Beweise in Ermittlungsverfahren verwendet werden.
Denn sowohl die ausländischen als auch die deutschen Behörden haben mit dem „Abschöpfen von massenhaften Daten ohne konkreten Anlass (Tatverdacht) ihre Befugnisse weit überschritten.
Thomas Fischer, Strafverteidiger und ehemaliger Vorsitzender Richter eines Strafsenats beim Bundesgerichtshof, kritisiert in einem aktuellen Interview mit spiegel.de (Dietmar Hipp), dass das FBI der Organisierten Kriminaltät rechtlich gesehen "Tatwerkzeuge" zur Verfügung gestellt habe. Er bezeichnet die Vorgehensweise als eine Mischung aus präventiver Strafverfolgung und Tatprovokation.
Nach deutschem Recht wäre dies nämlich unzulässig, wenn die Person vorher nicht tatgeneigt war und deshalb gar kein konkreter Verdacht gegen diese Person bestanden hat.
Deutsche Gerichte dürfen keine Durchsuchungen von Wohnungen und Geschäftsräumen genehmigen, wenn sich der "Tatverdacht" nur aufgrund von Abhörergebnissen des FBI ergibt.
Federführend ist hier die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main, die unter dem Aktenzeichen 62 UJs 50005/20 formell ein Ermittlungsverfahren „gegen Unbekannt“ eingeleitet hat. Warum gerade Frankfurt? Ganz einfach: Das Bundeskriminalamt (BKA) sitzt in Wiesbaden und begründet die Zuständigkeit der Frankfurter Ermittler. Doch als das Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, lagen dem BKA noch gar keine Anhaltspunkte für Straftaten vor. Diese mussten erst aus den Encrchat-Protokollen noch gewonnen werden. Genau das ist nach deutschem Recht das Problem.
Das Landgericht Berlin hat in einem ausführlich begründeten Beschluss die Auffasung der Strafverteidiger geteilt und die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt. Dagegen hatte die Staatsanwaltschaft Beschwerde eingelegt. Das Kammergericht hat den Beschluss aufgehoben. Aus Sicht des Strafsenats des Kammergerichts handelt es sich bei den Daten um sogenannte "Zufallsfunde". Die Verwendung von solchen Zufallsfunden sei nach den einschlägigen deutschen Vorschriften zur Überwachung der Telekommunikation (§ 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO) zulässig. Es gelte zudem aufgrund des in Europa geltenden Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen ein eingeschränkter Prüfungsmaßstab. Dies führe im Ergebnis dazu, dass die nach französischem Recht gewonnenen Erkenntnisse im deutschen Strafverfahren verwendet werden dürften.
Das allgemeine Gerechtigkeitsempfinden der rechtstreuen Bevölkerung als Bewertungsmaßstab?
Allerdings mit sehr fragwürdiger Begründung:
Die Nichtverwertung von legal durch Behörden der Republik Frankreich — nicht nur eines Gründungsmitgliedes der europäischen Union, sondern auch eines der Mutterländer des modernen Menschenrechtsverständnisses — beschaffter Informationen über derart schwerwiegende Straftaten, verstieße auch in erheblicher Weise gegen das allgemeine Gerechtigkeitsempfinden der rechtstreuen Bevölkerung.
Strafverteidiger werden weiter der Beweisverwertung widersprechen, um eine höchstrichterliche Entscheidung oder und ggfs. eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes herbeizuführen, die bislang noch nicht vorliegt.
Comments